In dem Moment, in dem Eske an die Theke ihrer Lieblingsschenke trat, flog die Tür auf und eine zierliche junge Frau stürmte herein. Sie war etwas größer als Eske selbst, doch schmaler. Die dunkelblonden Haare hatte sie zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden und die Kleidung war einfach aber sauber. Das eigentlich interessante an ihr waren die Grübchen in ihren Wangen und die wachen hellen Augen. Ein Gesicht, dass lächeln musste.
Nachdem die Dunkelblonde ihre Unterredung mit der Bedienung beendet hatte, begegnete sie Eskes Blick. „Äh, habe ich Kohl zwischen den Zähnen?“, fragte sie mit einem schiefen Grinsen.
Eske blinzelte und wurde sich bewusst, dass sie die Frau angestarrt hatte. „Oh, nein. Entschuldigung, Ihr habt nur ein sehr interessantes Gesicht.“ Sie grinste. Diese Frau hatte ein Gesicht, dass sie nur zu gerne malen würde, strahlend inmitten von Sonnenblumen oder einer Frühlingswiese.
„Habe ich das?“ Die Blonde kicherte und ihr Gesicht hellte sich auf. „Da seid Ihr aber die erste, die das bemerkt.“
„Ich habe einen Blick für so etwas“, meinte Eske, zwinkerte ihr zu und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin Eske. Eske Lammfeld und …“ Doch weiter kam Eske nicht, denn die Augen ihres Gegenübers wurden plötzlich groß. „DIE Eske Lammfeld? Die Malerin und Baronin?“
Im ersten Moment fühlte sich Eske geschmeichelt und musste breit Grinsen. „Oh, Ihr habt von mir gehört?“ Dann fiel ihr etwas anderes auf. „Moment, wieso Baronin?“ Wie als ob sich der Hof, auf dem sie aufgewachsen war, als Baronie eignen würde …
„Dann seid Ihr noch keine?“ Die Blonde wippte plötzlich auf den Fußballen auf und ab. Immerhin behielt Eske recht, dieses Gesicht konnte strahlen, wenn auch vor falscher Aufregung. „Aber Eure Schwester hat sich schon umgebracht, oder?“, fragte die Dunkelblonde weiter und beantwortete sich die Frage gleich selbst. „Ja, klar, sonst hättet Ihr ja nicht den Anhänger mit dem heilenden Stein um!“ Die schlug sich gegen die Stirn, als sei das dass offensichtlichste der Welt.
Eske tastete nach dem Anhänger. Ein blauer Stein ruhte in ihm, halb verborgen von den kunstvollen Verzierungen, die Leyston ihr hatte anfertigen lassen. „Wer seid Ihr?“, fragte Eske und stellte fest, dass ihre Stimme plötzlich rau war. „Woher wisst Ihr von meiner Schwester?“
Plötzlich wurde die Blonde rot und hob die Hand vor den Mund. „Oho, da habe ich zu viel gesagt.“
Wut, Unglaube und Verzweiflung bahnte sich plötzlich den Weg aus ihrem tiefsten Innerem zurück an die Oberfläche. Sie quollen aus kleinen Rissen in dem Stein, in dem Eske all das verborgen hielt, was sie einfach nur vergessen wollte. „Woher wisst Ihr davon?!“ Niemand hier konnte davon wissen. Niemand hier konnte wissen, dass ihre Schwester verrückt geworden war und Selbstmord begangen hatte. Eske trat einen Schritt auf die Blonde zu, ihre Hände zitterten plötzlich.
Die Blonde wich zurück und hob beschwichtigend die Hände. „Äh, das darf ich nicht sagen. Tut mir Leid!“ Ihr Gesicht erstrahlte nun rot, berührt von Scham.
Eske ging auf sie zu, sie wich weiter zurück. „Wisst ihr, ich sollte besser gehen“, sagte sie und sah sich nach der Tür um.
Am liebsten wollte Eske sie schütteln um herauszufinden, was sie von ihrer Schwester wusste. Hatte sie vielleicht etwas damit zu tun? Wusste sie, wer oder was ihrer Schwester den Verstand geraubt hatte? Und weswegen sollte Eske eine Baronin sein? Ihr Kopf schwamm plötzlich von Fragen und machte ihn so schwer, dass Eske sich an die Stirn greifen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Oder war das schon der Wein?
In dem Moment wandte die Blonde sich ab. „Nichts für ungut!“ Damit rannte sie zur Tür und verschwand nach draußen. Als Eske torkelnd die Tür erreichte war sie verschwunden. Doch die Flut in ihrem Kopf hielt an.
