Zwei Diener flankierten die große Flügeltür. Baienvy sah ihren Blickwechsel und lächelte befriedigt, als sie sich entschieden beiseite zu treten und ihr nicht im Weg zu stehen. Polternd stieß sie die Tür auf. Gleich darauf breitete sich im Saal dahinter zunehmend Stille aus; zuerst verstummten die Gespräche, dann nach und nach die Musiker. Zuletzt war nur das aufgeregte Flüstern zu vernehmen. Baienvy brauchte nicht zu verstehen, was sie sagten, sie wusste es auch so: Was will die Herzogin hier?
Als sie in den Saal hineinging, traten die Leute freiwillig beiseite. Außer einem: der Baron zu Tragent-Leren eilte ihr entgegen. Es war sein Haus.
Geduckt blieb er vor ihr stehen, als erwarte er eine Rüge. „Eure Durchlaucht! Ich bin erfreut, dass Ihr uns mit Euer Anwesenheit beehrt.“
Er wollte noch mehr sagen, doch Baienvy schnaufte und schob ihn beiseite. „Eure illustre Gesellschaft interessiert mich nicht“, sagte sie scharf. „Wo ist die Baronin von Nebelfels?“
„Die Baronin v…“
„Meine Schwester!“ Baienvy hatte nicht die Geduld dem überraschten Neureichen zu erklären, dass er sehr wohl wusste, wer ihre Schwester war. Alle wussten es. „Daphnie!“
Als die den Baron zu Tragent-Leren beiseite schob und weiter ging, löste sich ein weiterer Mann aus der Menge an Adeligen. Ihr Schwager. „Durchlaucht“, begann auch er, deutlich um Respekt bemüht. Doch auch den Baron von Nebelfels ließ sie nicht ausreden. „Von Euch will ich nichts. Ich möchte nur endlich mit meiner Schwester sprechen!“
Doch er ließ sie nicht an sich vorbeigehen und stellte sich ihr erneut in den Weg. „Mit Verlaub, was immer Ihr zu besprechen habt, könnt Ihr mit mir besprechen.“
Baienvy sah davon ab, ihm einen Faustschlag in den Bauch zu verpassen und lächelte kühl. „Ach ja? Kennt Ihr die Verehrer Eurer Frau so gut?“ Als sie nun zu ihrer Schwester vordrang, versuchte er nicht noch einmal sie aufzuhalten. Daphnie versuchte sich hinter zwei weiteren Damen zu verbergen, doch diese traten hastig beiseite. Während Daphnie ihr verloren entgegen schaute und jede Haltung verlor, folgte der Baron von Nebelfels ihr.
„Baienvy, Euer Durchlaucht, ich, äh …“, stammelte Daphnie nervös und sah hilfesuchend zu ihrem Mann.
„Daphnie, ich brauche einen Namen!“, forderte Baienvy, ohne auf deren Gestammel einzugehen. „Einer deiner alten Verehrer hat es auf meinen Sohn abgesehen.“
„Aber ich“, begann sie und besann sich dann auf ihren Stolz. „Ich bin eine verheiratete Frau! Was fällt Euch ein, mich nach irgendwelchen Verehrern zu fragen?!“
In Ermangelung eines Kragens an ihrem aufwendigen Kleid, griff Baienvy ihre Oberarme und zog Daphnies Gesicht nahe an ihres heran. „Hast du mich nicht verstanden?!“, zischte sie, „Jemand will meinen Sohn tot sehen! Deinen Neffen!“ Mit einem Schups schob sie ihre Schwester weg und ließ zu, dass sich der Baron abermals zwischen sie stellte. „Das ist wohl kaum der richtige Rahmen, um etwas Derartiges zu besprechen.“
Baienvy konnte die unterdrückte Wut in seinen Worten hören und sie funkelte ihn an. „Ach nein? Was wäre denn ein besserer Ort? Ein stilles Kämmerlein, damit niemand erfährt was los ist? Damit niemand erfährt, dass du mein erster Verdächtiger bist?“ Sie lächelte kalt und ging ein paar Schritte um ihn und ihre Schwester herum. „Jeder weiß, dass du meine Schwester nur geheiratet hast, um den Herzogtitel zu bekommen. Was käme dir also mehr gelegen, als meinen Sprössling aus dem Weg zu räumen?!“ Bei den letzten Worten ließ sie ihrer Wut freien lauf und wurde lauter.
Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich und echte Empörung sprach aus seinen Worten. „Für was haltet Ihr mich, Durchlaucht?!“
Baienvy lachte freudlos. „Für das, was du bist. Ich kenne dich, Taron.“ Gut genug um zu wissen, dass er sich standesgemäß loyal verhielt und keinem Kind schaden würde. Auch nicht einem, dass seinem Titel im Weg stand. „Ich kenne dich genauso gut, wie alle hier im Saal.“ Damit wandte sie sich der stillen Festgesellschaft zu. Die meisten sahen sie beleidigt an, in ihrer Ehre gekränkt, doch Baienvy wusste genau, bei wem es mit dieser Ehre nicht weit her war. „Ich kenne euch habgieriges und selbstsüchtiges Adelspack! Und ich werde herausfinden, wen ich für den Angriff auf meinen Sohn bei lebendigem Leibe den Bauch aufschlitzen und die Augen ausstecken muss.“ Sie lachte wieder und sah sich den Haufen verstimmter und auch ängstlicher Menschen an. Irgendjemand würde nervös werden, irgendjemand würde die Nerven verlieren und sich verraten. Und sie hatte genügen Augen im Saal, die sie darüber informieren würden.
So wandte sie sich wieder Daphnie zu und verschränkte die Arme. „Also?“
