Geschäftssinn (Eske)

Eske betrachtete all die köstlichen Kuchen, Brote und Zuckerstückchen auf dem Marktstand, während der Händler ihr ein halbes Früchtebrot in ein dünnes Tuch einschlug. Gerade als Eske es entgegennehmen wollte, wurde sie angerempelt. Ein Junge war in sie gelaufen, stolperte und viel vor ihre Füße. Ohne abzuwarten half Eske dem Kind auf, da tönte ein „Lass dich nicht noch einmal an meinen Waren erwischen!“, über den Markt.
„Bleib hinter mir“, flüsterte Eske. Das der Junge ein Dieb sein konnte, war ihr klar. Doch lieber ein Dieb, als verhungern. Die Verfolgerin des Jungen ließ nicht lange auf sich warten. Die Frau hatte einen hochroten Kopf und starrte Eske von oben herab an. „Ist das etwa Euer Bengel?!“, keiferte sie.
„Und wenn es so wäre?“, blaffte Eske zurück. „Hat er etwas gestohlen?“
„Er wollte!“ Doch ihr Aber ging in Eskes Erwiderung unter: „Dann brauche ich Euch für nichts entlohnen!“
Die Frau knirschte mit den Zähnen. „Ich werde die Stadtgarde benachrichtigen! Die werden dafür sorgen, dass solches Gesindel sich nicht mehr zwischen ehrbaren Bürgern auf dem Markt herumtreibt!“
„Nur zu!“
Auf Eskes Gelassenheit folgte eine weitere Anfeindung, dann zog die Frau von dannen. Anders, als erwartet, stand der Junge noch immer hinter ihr. Er konnte höchstens acht Jahre alt sein, hatte schmutzige braune Haare und war sehr mager. Aber seine blauen Augen strahlten sie wach an und Eske musste lächeln. „Du hast Hunger, nicht?“, fragte sie und streckte ihm ohne nachzudenken das Früchtebrot entgegen. Der Junge bedankte sich mit einem Grinsen und lief davon. Eske beobachtete ihn, er lief zwischen zwei Ständen hindurch auf eine Seitengasse zu – und dort saßen sie. Eske entdeckte auf Anhieb zwei weitere Kinder in schäbiger Kleidung. Ein Mädchen hatte beobachtet, wie sie dem Jungen geholfen und ihm noch etwa zu essen geschenkt hatte. Misstrauisch sah es zu ihr hinüber und Eske winkte ihm. „Bitte“, wandte sie sich an den Händler. „Wärt ihr so freundlich, mir zwei weitere Früchtebrote einzupacken?“
Der Händler schnaufte, doch er tat, wie ihm geheißen. Am Ende waren es sechs Kinder, denen Eske ein halbes Früchtebrot spendierte und sechs paar strahlende Augen, die Eske zum Lächeln brachten. Doch so schnell, wie die Kinder gekommen waren, waren sie auch schon wieder fort.
„Wieviel bin ich Euch schuldig?“, fragte sie den Händler und holte ihre Geldkatze unter ihrem Halstuch hervor. Leider war der Inhalt nicht so ergiebig, wie sie gehofft hatte. Die Hand voll Münzen, die sie dabei hatte, hätte nicht einmal für ein zweites Brot gereicht. Eske spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg, als sie den Händler schuldbewusst ansah. „Ich nehme an, Ihr hättet etwas dagegen, wenn ich gehe, um mir das nötige Kleingeld bei einer Freundin zu leihen?“

Einige Stunden später stieg Eske vor dem Arresthaus der Stadtwache in Edithas Kutsche. „Straßenkinder“, wiederholte Eskes Freundin abermals trocken und Eske seufzte. „Ja, vielleicht. In jedem Fall hatten sie Hunger.“
Als Editha ihr gegenüber platz genommen hatte, griff sie nach Eskes Hand. „Liebes, dein großes Herz in allen Ehren, doch du musst aufhören Geld zu verschenken, dass dir nicht gehört. Stell dir vor, Jose und ich wären auf Reisen. Was würdest du dann in einer solchen Situation tun? In der Zelle sitzenbleiben, bis wir zurück sind?“
Eske verzog den Mund und rieb sich über den Nacken. Selbst durch die dünnen Handschuhe konnte sie die harte Rundung des Fokus unter ihrer Haut spüren. Sie hatte sich fast schon daran gewöhnt, dieses Ding in ihrem Nacken zu haben. Ebenso, wie an den Reichtum, den ihr das Leben bei Editha bescherte. Doch Eske wusste zu genau, worauf ihre Freundin hinaus wollte. „Na schön. Was erwartest du von mir als Gegenleistung?“
Editha lächelte. „Es wird die Anpassung des gelben Kleides erfordern. Und ich werde dir mindestens ein weiteres Kleid schneidern lassen müssen, damit ich dich vorzeigen kann. Aber ich bin sicher, es wird deiner Malerei zuträglich sein.“
„Du möchtest mich auf Bälle schleppen?“
Editha tätschelte ihre Hand und lächelte. „Es wird dir gefallen, Liebes!“

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