Stunden später saß Eske gemütlich in einem der bequemen Sessel im Salon, ein Glas Wein in der Hand und einen nur noch halbvollen Krug desselben neben sich auf einem kleinen Tisch. Es war ruhig im Haus, nur das Knistern des Feuers im Kamin war zu vernehmen. Das letzte Licht des Tages fiel durch die Fenster, dennoch gab es heute kein geschäftiges Treiben in der Küche, keine Gerüche, die durch das Haus schwebten. Editha hatte ihren Angestellten frei gegeben. Die Ruhe machte Eske schläfrig, doch sie wollte nicht schlafen. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, tauchten Bilder vor ihrem geistigen Auge auf; Erinnerungen an zerfledderte Leichen, die sie angriffen, vom irren Blick des Barons und Kanu’um, wie er sein unnatürliches Leben aushauchte. Nein, sie wollte das alles einfach vergessen.
Schritte neben sich, rissen sie aus den Gedanken. Alarmiert saß Eske plötzlich kerzengerade. Editha sah sie schuldbewusst an. „Ich wollte dich nicht erschrecken, verzeih“, meinte sie und setzte sich zu ihr. Sie drehte dabei einen versiegelten Brief in den Händen.
„Wie geht es ihm?“, fragte Eske.
„Den Umständen entsprechend.“ Ein schwaches Lächeln huschte auf ihre Lippen, vertrieb jedoch nicht die Soge in ihren Zügen. „Er fiebert noch und hat Albträume, doch der Medicus sagte, die Infektion der Toten sei gebannt. In wenigen Tagen ist er wieder gesund.“ Editha hielt inne und legte schließlich eine Hand auf Eskes Knie. „Und du? Wie geht es dir?“
Eske wandte den Blick ab und sah zum Feuer hin. „Gut, denke ich.“
Selbst wenn Editha ihr nicht glaubte, sie sagte dazu nichts. Eine Weile herrschte schweigen. Dann stand Editha wieder auf. „Geh‘ zu Bett. Auch du kannst den Schlaf gebrauchen. Du hast länger in dieser Sache gesteckt, als Jose.“ Dann streckte sie ihr den Brief entgegen. „Den gab mir jemand von der Behörde für dich.“
Eske nahm den Brief. Das Siegel zeigte Flammen, umrahmt von einem Kreis. Jeder kannte dieses Siegel und niemand wollte einen Brief mit diesem erhalten. Während Editha sich verabschiedete und den Raum verließ, öffnete Eske den Brief. Es war eine höfliche Aufforderung, sie möge am nächsten Mittag zur Behörde kommen und ihre Darstellung der Ereignisse darlegen. Seufzend ließ sich Eske wieder in den Sessel sinken. All das würde ihr noch länger nachhängen, als ihr lieb sein konnte.
ENDE
