Trauer (Alena + Lailah)

Nur mit den Fingerspitzen strich sie über die kühlen Tasten. Ein Akkord, ein Zweiter und ein Dritter. Alena hielt inne. Wie lange war es her, dass sie auf einem Flügel gespielt hatte? Alena wusste es nicht. Sie spielte weiter, ohne Noten, ohne einem einstudierten Stück zu folgen. Es war das erste Mal, dass die Musik direkt aus ihrem Herzen zu fließen schien; ihr Herzblut. Sie hatte alle verloren. Sie hatte ihr Kind verloren, sie hatte ihre Liebe verloren. Weswegen war sie zurückgekehrt? Weswegen war sie wieder in diesem Schloss, wo alles begonnen hatte? Aus Pflichtgefühl? Ja, das musste es sein. Sie hatte ihren Schüler verlassen, einfach so. Das Pflichtgefühl hatte sie hier her zurückgeführt. Aber sie wollte nicht hier sein. Sie wollte bei ihrem Kind sein, sie wollte bei Silva sein. Doch beides war nicht möglich – oder?
Alenas Blick wanderte zu dem Fenster. Sie hatte aufgehört zu spielen, ohne es zu bemerken. War es wirklich so unmöglich, ihrem Kind zu folgen? Würde die Todesbotin sie nicht wieder zusammenführen? Sie musste nur an das Fenster treten, sich hinauslehnen und …
„Alena?“, fragte plötzlich jemand. „Alena, bist du hier?“
Alena schluckte hart. Der Raum war dunkel, doch sie erkannte Lailahs Stimme.
„Alena!“ Die Erleichterung war unverkennbar und das Mädchen eilte in den Raum hinein. „Ich hab‘ … Musik gehört und … äh, war neugierig …“
Einen kurzen Moment schloss Alena die Augen und sammelte sich. Lailah war eine schlechte Lügnerin. Ihre Stimme zitterte und es wirkte, als versuche sie bloß nicht zu sagen, weswegen sie wirklich hier war. „Du hast dir Sorgen gemacht?“, fragte Alena leise.
Lailah atmete erleichtert aus. „Ja. Ja, hab‘ ich. Ich hab …“
Doch Alena stand auf und hob gleichzeitig eine Hand, um Lailah zum Schweigen zu bringen. „Danke“, sagte sie nur und lächelte schmal. „Lass … uns einfach gehen.“
Alena Schritt voraus, verließ den Raum. Sie wollte fort, fort von der Trauer und dem Schmerz. Sie durfte sich nicht gehen lassen, nicht so sehr.

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