Malerin der Toten 12

Ein Donnerschlag erschütterte das ganze Gemäuer und ließ sogar die Gitterstäbe klirren, die Eske einkerkerten. Ganz in der Nähe musste ein Blitz eingeschlagen haben. Der Sturm tobte schon eine Weile, Eske hörte das Heulen des Windes bis in den Kerker hinunter. Er blies die Treppe hinunter und wirbelte den Staub zu ihren Füßen auf. Jetzt gesellten sich ferne Rufe in das Jaulen.
Seufzend ließ Eske von dem Versuch ab, mit einer Krebsschere das Schloss zu bearbeiten. Als Kanu’um ihr ihre Leibspeise gebracht hatte, Flusskrebse mit Rübengemüse, hatte er wohl nicht im Sinn gehabt, ihr die Möglichkeit zum Ausbruch zu geben. Versuchsweise rüttelte sie an den Gitterstäben und durchmaß den kahlen Raum dahinter noch einmal mit ihren Augen. Aber das schwache licht einer Öllampe zeigte ihr nur den Tisch, auf dem sie stand und zwei Stühle daneben. Die andere Zelle und die Treppe lagen in Schwärze getaucht. Es wurde zugig und Eske fröstelte. Sie rieb sich die Arme, setzte sich auf die Stiege, die als Bett dienen sollte, und zog den Kopf ein – nur um dabei zusammenzuzucken und mit den Fingerspitzen über ihren Nacken zu fahren. Obgleich er sie nicht behinderte, sie spürte den Fremdkörper bei jeder Bewegung. Er steckte zwischen ihren Muskeln, sie konnte ihn unter der Haut sogar tasten.
Das Geräusch von Schritten auf der Treppe riss sie aus den Gedanken. Ein Flüstern übertönte kaum den Wind. „Eske?“
Eske sprang auf. „Jose?“
Die Schritte wurden schneller und kurz darauf trat Jose in den Lichtkreis. „Eske! Den Göttern sei Dank, dass es dir gut geht!“ Er eilte zu den Gitterstäben, rüttelte an der Tür und kam zu dem gleichen Ergebnis, wie Eske auch. „Verschlossen.“
„Glaubst du, ich bliebe freiwillig in einem Kerker sitzen?“, fragte Eske und musste sogar Grinsen. Sie war so erleichtert, endlich kam sie hier heraus!
Nun erschien noch jemand weiteres, schwer atmend und keuchend. „Meister von Lauenkamp?“ Der alte Mann lächelte gequält. „Zu Euren Diensten, Fräulein Lammfeld. Auch wenn meine alten Knochen kaum noch für das Erretten holder Jungfrauen taugen.“
„Meister von Lauenkamp hat uns seine Hilfe angeboten, Eske“, erklärte Jose und trat zurück, als Meister zu Lauenkamp das Schloss in Augenschein nahm. „Wir haben zunächst versucht die Leichen zu finden, von denen du gesprochen hattest.“ Aufregung sprach aus Joses Stimme und er umklammerte die Gitterstäbe mit beiden Händen. „Doch dann kam Meister von Lauenkamp zurück und berichtete, man hätte ihn abgewimmelt; du wärst erkrankt und könntest niemanden empfangen. Uns war klar, dir müsse etwas zugestoßen sein und jetzt sind wir hier. Wusstest du, dass Meister zu Lauenkamp magische Fähigkeiten besitzt? Er hat den Sturm heraufbeschworen!“
Eske hatte nur die Hälfte begriffen, doch das war ihr gleich. Sie waren gekommen, um sie herauszuholen. Wie sie hier her gekommen waren, interessierte sie dabei nur wenig.
„Und ich werde auch das Schloss auf diese Weise öffnen können“, versicherte Meister zu Lauemkamp, streckte beide Hände aus und berührte zaghaft das kalte Eisen. Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich.
Bis plötzlich Kanu’um hinter den beiden Männern erschien.

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