Malerin der Toten 9

„Ich bin erleichtert, dass es Eske gut geht. Und dieser Kanu’um “, Jose ließ den Satz unbeendet, schürzte abschätzig die Lippen und sah Editha von der Seite an. Unruhig drehte sie ein Stück Papier in den Händen und sah aus dem Fenster. Sie war noch immer blass, doch Jose ahnte, es lag nicht an einer Magenverstimmung. Schweigend faltete sie das Blatt auseinander, es kam ein Portrait von Eske selbst zum Vorschein.
Jose runzelte die Stirn. „Sie sieht darauf krank aus – und älter. Hier.“, mit dem Finger zeichnete er die Konturen nach, ohne das Blatt zu berühren. „Ihre Wangen sind eingefallen und sie strahlt nicht, wie sonst. Wann hat sie das angefertigt?“
Darauf hatte Editha keine Antwort. „Weswegen sollte sie so etwas von sich zeichnen?“ Das Bild genauer betrachtend, runzelte Editha die Stirn. „Das ist nicht Eske. Siehst du? Der kleine Höcker auf ihrer Nase fehlt und Eskes Augen stehen weiter zusammen.“
Jetzt runzelte auch Jose die Stirn und nahm ihr das Bild aus der Hand. Ja, wenn er genau hinschaute, erkannte er eine andere Frau. „Hmm, aber wer ist es dann?“
„Ihre Schwester vielleicht?“
Doch Jose schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Es mag lange her sein, dass ich Sahar gesehen habe, doch sie hatte andere Augen.“
„Wer auch immer es ist, Jose“, Editha atmete tief durch und legte eine Hand auf seinen Arm, „Eske bat mich um Hilfe und gab mir das. Sie sprach auch von Frauenleichen.“
„Was?!“ Editha hielt ihn davon ab, sofort aufzuspringen und die Kutscherin anzuweisen, umzukehren. Sie mahnte ihn auch leiser zu sein und legte ihre Finger auf seinen Mund, während sie ihn ins Bild setzte. „Wir werden nach Hause fahren und uns zur Stadtwache aufmachen, zu Fuß“, schloss sie. „Offensichtlich findet in diesem Haus ein Komplott statt, sonst hätte Eske dort jemanden um Hilfe gebeten.“
Jose wiedersprach nicht. Er war noch immer erregt, als sie später am Abend das Haus erneut verließen und bei der Stadtwache vorstellig wurden. Doch niemand wollte ihnen helfen. Die beiden Wachhabenden, die anwesend waren, glaubten sie seien betrunken. Selbst wenn in dem Haus etwas vor sich ging, er könne nicht einfach auf eine Behauptung hin jemandem mitten in der Nacht zu einem Baron schicken, war die Auskunft, sie seien die Stadtwache und für die Stadt zuständig, nicht für das, was in den Anwesen außerhalb vor sich ging. Jose kochte, als sie sich erneut auf den Heimweg machten. Ärgerlich stampfte er die breite Kopfsteinpflasterstraße entlang, die in voller Länge von magischen Lampen in verschiedenen Farben beleuchtet wurden. Auch wenn er es nicht konnte, so bewahrte Editha einen kühlen Kopf und fasste einen Plan. „Wir werden mehr herausfinden müssen. Gleich morgen früh gehst du auf die Suche nach einem Kartographen. Wir benötigen eine Karte des Geländes um das Anwesen.“ Ein anderes Pärchen kam ihnen auf der breiten Hauptstraße entgegen und Editha hielt inne, grüßte höflich. Auch einem Wachmann auf der anderen Straßenseite nickte sie zu, erst dann sprach sie weiter. „Ich werde versuchen herauszufinden, wer die Frau auf dem Portrait ist. Im Tempel der Weisen kann mir sicherlich jemand Auskunft geben.“
„Wir könnten einen Hund gebrauchen“, knirschte Jose. Ein Hund könnte sicherlich die Leichen erschnüffeln. „Einen großen Hund!“ Ein großer Hund könnte diesem Baron auch die Kehle herausreißen, sollte er Eske auch nur falsch ansehen. Oder diesem Kanu’um! Der war mit Sicherheit auch in diese Sache verwickelt.
„Liebling“, mahnte Editha ihn und tätschelte seinen Arm. „Übertreibe es nicht. Wir wissen nicht, wer etwas mit zu tun hat. Wir wissen nur, dass ich Eske so etwas nicht ausdenkt.“ Sie öffnete das Tor vor ihrem Haus. Jose hatte nicht bemerkt, dass sie bereits da waren und seine Höflichkeit vergessen. Zumindest schaffte er es, seiner Verlobten die Haustür zu öffnen. Auf der Schwelle hielt sie ihn jedoch noch einmal zurück. „Beruhige dich endlich. Ich werde Klara bitten, uns noch eine Kanne Tee zu bereiten und dann gehen wir am besten zu Bett. Wir haben morgen viel vor.“ Ein Kuss folgte und Jose atmete durch. Schlafen konnte er dennoch nicht.

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