Kaum hatte Kyle die Tür geöffnet, blieb er abrupt stehen. Kugeln aus Wasser versperrten ihm den Weg, sie schwebten überall im Raum, kleine wie große. In jeder schimmerte ein anderes Bild, hier eine idyllische Blockhütte, dort zwei Armeen, die sich bekämpften. Keines der Bilder wiederholte sich und keines der Bilder schien mit den anderen etwas zu tun zu haben, dennoch waren sie mit schillernden Fäden aus rosafarbener Magie verbunden. „Alena?“, fragte Kyle in den Raum hinein, erhielt jedoch keine Antwort. Vorsichtig duckte er sich unter den ersten Kugeln hindurch, stieg über einen Magiefaden und bahnte sich vorsichtig einen Weg durch das Gespinst. Letztlich schienen alle Fäden zu einem einzigen Punkt zu führen: Dem Bild einer zerberstenden Kirche, aus der ein Drache emporstieg.
Kyle runzelte die Stirn. Wie lange arbeitete Alena wohl bereits an diesem Konstrukt? „Alena?“, fragte er noch einmal. Ein Zittern durchfuhr die Wasserkugeln, kurz drauf antwortete sie endlich: „Ich bin hier. Warte, ich komme zu dir.“ Kyle entdeckte sie am anderen Ende des Raumes, dort wo ein tiefes Wasserbecken fast trocken lag. Alena sah müde aus, lächelte jedoch. „Gibt es etwas Neues?“
„Nein, ich wollte nur mit dir reden über …“, begann Kyle, hielt aber inne, als er drohte an eine der Wasserkugeln zu stoßen. „Was ist das alles hier?“
„Ich finde keine Lösung“, entgegnete Alena und richtete den Blick auf das Geflecht an Bildern. „Der Drache darf nicht erwachen, aber ich finde den Kern nicht. Er ist uns immer einen Schritt voraus, alle Wege scheinen zu dem Erwachen des Drachen zu führen und der Zerstörung unserer Zeitlinie.“
Die Sorge in Alena Stimme war unverkennbar, doch Kyle hob die Schultern und ließ den Blick über die Bilder schweifen. „Dann geh einen anderen Weg, fang dort an, wo du hin willst.“
„Ohne Umwege …“, murmelte Alena und setzte sich abrupt in Bewegung. Kyle folgte ihr zwischen den Kugeln hindurch zum Mittelpunkt, dem Bild des Drachen. Alena streckte die Hände aus, als wolle sie die Kugel aus dem Gespinst nehmen, berührte das Wasser jedoch nicht. Dennoch geriet das Bild darin in Bewegung: Der Drache zerstörte die Kirche und erhob sich in die Lüfte. „Du hast Recht. Vielleicht müssen wir dort eingreifen.“ Sie klang nachdenklich, doch einen Moment später lächelte sie Kyle entgegen. „Das war aber sicher nicht das, worüber du mit mir sprechen wolltest“, stellte sie fest.
Kyle stutzte einen Moment und strich sich unbehaglich über den Nacken. „Nein. Es geht um Sananka.“
Alena nickte verstehend, bückte sich und strebte dem Ausgang entgegen. Dabei bedeutete sie Kyle, sie zu begleiten. „Du verstehst nicht, weswegen sie dich abweist?“, fragte sie schließlich und schloss die Tür hinter sich. Kyle ahnte nur, wohin sie nun gehen wollte, hielt sich aber dennoch neben ihr, als sie den langen schattenlosen Gang hinabging. „Ich dachte, du könntest mir helfen. Ich weiß, was sie getan hat. Es wurde mir erzählt, es ändert aber nichts an …“
Ohne, dass er den Satz beenden musste, verstand Alena. „Doch, es ändert etwas.“ Sie blieb stehen und sah ihn an. Kyle musste zu ihr aufschauen, es kam ihm seltsam vor, dass sie größer war, als er. Hatte er das immer so gesehen? „Das, was du nun spürst ist ungetrübt. Du vertraust ihr, nicht wahr?“ Kyle nickte nur und Alena fuhr fort: „Das tätest du nicht so einfach, würdest du dich erinnern. Du weißt vielleicht, was sie getan hat, aber du fühlst es nicht.“
„Aber es ist mir egal!“
„Es ist ihr nicht egal.“ Mitfühlend legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. „Sie möchte dich nicht wieder täuschen und das tut sie ihrer Meinung nach, solange du dein Gedächtnis nicht wieder hast.“
Dazu wusste Kyle nichts zu sagen.
„Gib euch Zeit. So lange ihr hier seid, habt ihr genug davon. Und wenn die Gefahr des Drachen gebannt ist, werde ich euch helfen“, beteuerte sie und nickte aufmunternd. Dann verabschiedete sie sich und ließ Kyle alleine und betrübt zurück.
