Stille umgab ihn. Das einzige Geräusch war das Rascheln des Papiers, wenn er eine Seite umblätterte. Doch auch dieses war seit geraumer Zeit verstummt. Thrax starrte auf die Seiten, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Er wartete. Bereits seit Jahren wartete er. Sein Zeitvertreib spornte ihn schon lange nicht mehr an. Oft hatte er sich gefragt, ob er zu ihr gehen sollte; ob die Entscheidung, sie gehen zu lassen, falsch gewesen war. Doch er hatte ihr all die Zeit versprochen, die sie brauchte. Und seine Versprechen pflegte er zu halten. Sie würde sich erinnern, früher oder später, doch sie würde sich erinnern.
Das entfernte Kratzen von Krallen auf dem Steinboden riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Murmeln, ein gelber Lichtfunke und die Tür hinter ihm öffnete sich. Ein kleines, affenähnliches Wesen krabbelte herein und sprang auf Thrax‘ Schreibtisch. Die Seiten knirschten unter der Bewegung des Kobolds. In den klauenbewegten Fingern hielt er einen versiegelten Brief. Thrax nahm ihn entgegen. Ohne, dass er noch etwas sagen musste, verschwand der Kobold hinaus. Lediglich die Tür blieb offen stehen und ein ärgerliches Glucksen drang aus dem Gang dahinter herein. Alaralién hätte ihn gescholten, den Kobold so zu behandeln. Sie hatte in Loocyl immer mehr gesehen, als nur einen Dämonen. Für sie war Loocyl ein kleines Tier gewesen. Ebenso dachte Mikayirell.
Thrax warf einen Blick auf den Brief und öffnete ihn. Allein die Handschrift sagte ihm, es ging um Imiak. Mit einem tiefen Seufzen erhob Thrax sich und nahm eine kleine Kiste von einem der Regale, die eine Wand des Raumes völlig einnahmen. Sorgsam stellte er die Kiste auf den Schreibtisch und hob den Deckel. Darin befanden sich zahlreiche solcher Briefe. Alle enthielten Nachrichten über Imiaks Treiben. Hier entführte er einen alten Mann, der angeblich Thrax‘ Mentor gewesen war, dort versuchte er an dieses Kind in der Magierakademie heranzukommen, dass Thrax vor Mikayirells Augen entlarvt hatte. Alles Bemühungen, seine Aufmerksamkeit zu erregen und ihn zu konfrontieren. Doch den Gefallen tat ihm Thrax nicht. Imiak zu verwandeln war ein Fehler gewesen, den er irgendwann würde bereinigen müssen. Vorausgesetzt seine Spielchen würde Imiak nicht vorher einen Pflock ins Herz einhandeln. Thrax schloss die Kiste und stellte sie wieder an ihren Platz. Direkt daneben stand eine ähnliche Kiste. Thrax blieb mit dem Blick daran hängen. Sie enthielt weit weniger Nachrichten, Informationen zu Mikayirells Befinden.
Der Luftzug wehte ein paar vergilbte Herbstblätter aus dem Dunkel hinter der Tür herein, als Thrax sich wieder an seinen Platz setzte. Es half nichts. Er musste warten.
