Als Sananka die Küche betrat, schlug ihr nicht nur der Geruch nach Braten und frischem Brot entgegen, es herrschte so rege Betriebsamkeit, dass sie in der Tür stehen bleiben musste. Die ganze Küchenbelegschaft war damit beschäftigt das Festessen vorzubereiten; überall blubberten Kochtöpfe, wurde geschält, geschnitten und gestopft. In dem Trubel saßen ein paar Wachmänner für eine letzte Mahlzeit nach dem Dienst an den beiden langen Tischen und bereicherten den Lärm um weitere Stimmen.
Sananka seufzte, hier gab es keine Neuigkeiten zu holen. Gesprächsfetzen konnte sie erhaschen, aber keinem Gespräch folgen. Vielleicht war sie mit einer Schenke heute besser bedient. Flink bahnte sie sich einen Weg durch die Anwesenden zum Ausgang hin und versuchte auf noch etwas Brauchbares aufzuschnappen. „Schon gehört? Die Baroness von Lionta soll schwanger sein“, plapperte eine alte Magd. „Schon wieder?“, ereiferte sich eine der Köchinnen und drehte sich mit einem Tablett in den Händen zu der Magd um. Die Pasteten hielt sie Sananka dabei direkt unter die Nase. „Oh danke!“ Ohne Zögern griff Sananka zu. Eine der beiden Fleischküchlein wanderte sofort in ihrem Mund, mit der anderen in der Hand tauchte sie unter dem Tablett durch, bevor die Köchin begriff, was sie getan hatte. Genauso einfach kam Sananka an ein Stück Früchtebrot. Der Wachmann, auf dessen Teller es lag, warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Wo isst du Klappergestell das nur hin?“, wollte gleich darauf die rundliche Wachfrau daneben wissen. Mit vollem Mund zuckte Sananka nur mit den Schultern und verkniff sich ein Grinsen.
Schon wollte Sananka durch eine weitere Tür in den Schlosshof, als ihr ein hagerer Mann den Weg versperrte. Mit lauter Stimme versuchte er die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich zu ziehen: „Kennt hier jemand eine Lailah Winzer? Ich habe einen Brief für sie mitgebracht!“
Niemand in der Küche beachtete den Mann und Sananka schluckte hastig den letzten Bissen des Fleischküchleins herunter. „Lailah, ja?“, fragte sie und nahm ihm das Papier aus der Hand. „Den nehme ich.“ Noch bevor der Mann reagieren konnte, schob sie sich an ihm vorbei nach draußen. „Deinen Lohn kannst du dir bei Maga Alena Wolpjes abholen“, verkündete sie über die Schulter hinweg und ließ den Mann stehen.
Die Stalltür quietschte und gleich darauf tönte es laut durch den Stall: „Lailah, bist du hier?“
„Ja!“, entgegnete Lailah schnell, bevor Sananka noch die Pferde erschreckte und lehnte die Mistgabel an die Wand. Sanankas Schritte kamen schnell näher und Lailah wischte sich die Hände an der Hose ab. „Was gibt’s?“ Sananka grinste und schwenkte etwas Papier über ihrem Kopf. „Da hat jemand was für dich abgegeben“, meinte sie und präsentierte ihr mit einer galanten Handbewegung den Brief. Gleichzeitig biss sie in ein Stück Brot.
Verwirrt sah Lailah den Umschlag an, nahm ihn aber nur zögernd. „Wer tut mir denn nen Brief schreiben?“ Mit den Fingerspitzen drehte sie ihn, unsicher ob er wirklich an sie gerichtet war. Doch es stimmte, ihr Name prangte darauf.
„Mach ihn auf und lies ihn, dann weißt du’s“, entgegnete Sananka zwischen zwei bissen.
Vorsichtshalber wischte Lailah ihre Hände noch einmal ab und öffnete den Brief. Während sie las, bewegte sie lautlos ihre Lippen, um sich sicher zu sein, die Worte richtig zu verstehen. Eine Zeichnung war dem Brief beigefügt und erst als Lailah diese betrachtete begriff sie den Sinn des Inhaltes wirklich. Zrasi heiratete? Ausgerechnet Zrasi?
„Muss ja was erfreuliches sein“, riss Sananka sie aus den Gedanken. „Ist der von deiner Mutter?“
Lailah blinzelte und schüttelte den Kopf. „Ne, der is‘ von nem Freund.“
„Und?“
Nachdenklich betrachtete sie den Brief und öffnete schon den Mund um Sananka zu antworten, verzog dann aber den Mund, diese sich sogar reckte um einen Blick auf die Zeichnung zu werfen. „Musst du alles wissen?“
Sananka verzog ebenfalls die Lippen, zuckte dann aber gleichgültig mit den Schultern. „Hätte ja sein können, dass es was Wichtiges ist.“
„Oh, es ist wichtig. Es ist sogar sehr wichtig!“, betonte Lailah und lächelte. Zrasis Hochzeit war der erste gute Gedanke seit Wochen. Sie faltete den Brief zusammen. „Ich muss ihm antworten.“ Aber so schnell sie das beschlossen hatte, so schnell fiel diese Idee wieder in sich zusammen. „Ich hab‘ aber nix zum Schreiben.“
Sananka musste ihr die Enttäuschung deutlich angesehen haben, denn sie grinste breit und klopfte ihr auf die Schulter. „Was zu schreiben kann ich dir geben. Aber wenn du willst, das der Brief ganz sicher ankommt, solltest du Alena fragen.“
Zwei Tage später machte sich ein Brief auf den Weg, versiegelt und mit der angegebenen Anschrift an Zrasiramasas auf seine Reise. Lailahs ungeübte Handschrift wird durch einige Tintenflecken und ein paar gestrichene Worte gekrönt.
das ist eine echte Überraschung von dir zu hörn! Und dann noch so gute Nachrichten! Ich würd gerne zu deiner Hochzeit kommen, aber ich weiß noch nicht, ob ich kommen kann. Ich bin grade nicht in Garet und dein Brief hat mich erst sehr späht erreicht. Zum Glück hat ers überhaupt.
Ich tue mein bestes, um dabei zu sein. Ich will schließlich auch die Frau kennen lernen, die es geschafft hat, dich zu einer Heirat zu bewegen. Sie sieht auf dem Bild sehr hübsch aus.
Ich wünsche dir alles Glück und Travias Segen!
Lailah
