Lediglich das Licht einiger Öllampen beleuchteten den Raum, kaum hell genug um Detailarbeit zu leisten. Doch darum ging es Sananka nicht. Sie richtete die Stoffe, wählte die Farben aus und schnitt sie zurecht. Das spärliche Licht störte sie dabei nicht – sie liebte es sogar. Nachts arbeitete sie besser, wenn niemand sie störte.
Dennoch gab es eine Störung. Ein Luftzug streifte ihren Nacken. Türen und Fenster waren verschlossen; sie spürte, jemand hatte den Raum betreten. „Keinen Schritt weiter, oder du hast eine Schere zwischen den Rippen“, drohte sie. Die Schere wurfbereit in der Rechten drehte sie sich um. Eine Gestalt blieb abrupt stehen und regte sich nicht. Sie versuchte nichteinmal zwischen den aufgehängten Kleidern oder unter einem Tisch Deckung zu suchen, sondern schnippte ertappt mit den Fingern.
„Kep?“ Überrascht betrachtete Sananka den jungen Mann. Früher war er ein Freund gewesen; vielleicht sogar der einzige, den sie in dieser Stadt jemals gehabt hatte. Kapuze und Tuch verdeckten sein Gesicht, doch sie erkannte seine Haltung, seine Bewegungen und seine gedämpfte Stimme: „Du bist besser geworden.“
„Was machst du hier?“
Gleichmütig hob er die Schultern. „Das gleiche könnte ich dich fragen.“
„Ich schneidere, in meinem eigenen Laden.“ Die Schere noch in der Hand verschränkte Sananka die Arme und sah ihn scharf an. „Kann für dich nicht zutreffen. Also, was willst du hier?“
Kep wiegte den Kopf hin und her und zog das Tuch von seinem Gesicht. Die Kapuze jedoch behielt er über dem Kopf, das Sananka seine Augen kaum erkennen konnte. „Ich habe Gerüchte gehört …“, begann er ausweichend.
„Gerüchte?“
Die Arme verschränkt lehnte er sich an einen Tisch neben sich und schob dabei einige ausgelegte Stoffstücke einfach beiseite. „Du kennst doch diese Stadt“, deutete er vage an und begutachtete einen Ärmel aus Samt. „Wenn man weiß, wen man fragen muss, findet man alles heraus.“
Sananka seufzte. „Und du hast rausgefunden, dass ich wieder hier bin.“ Ohne sich Sorgen zu machen, legte sie die Schere wieder auf den Tisch und schüttelte den Kopf. „Dann hast du hoffentlich auch herausgefunden, dass du jetzt bei mir nur noch ganz normale Kleidung bekommst.“
Kep lächelte zweideutig, als er den Ärmel behutsam wieder auf dem Tisch legte. „Ach wirklich? Keine Sonderanfertigungen? Keine dubiosen Geschäfte? Keine Aufträge, außerhalb der Schneiderei?“
„Keine Sonderharnfertigungen, keine Diebstähle, keine Morde, nichts außer normaler Kleidung“, bestätigte sie trocken.
„Und wenn es nichts damit zu tun hätte?“
Sananka verengte die Augen und sah ihn skeptisch von der Seite an. „Hast du etwas neue Betätigungsfelder?“
„Nun …“ Er stieß sich vom Tisch ab, ging einige Schritte um diesen herum und tat, als begutachte er eine Tunika, die an einem Haken hing. Sananka beobachtete er dabei jedoch stets aus den Augenwinkeln. „Vielleicht brauche ich einfach nur jemanden mit deinen Fähigkeiten“, mutmaßte er. „Hier in der Stadt passiert etwas, dass … geklärt werden muss.“
„Was?“ Die Ungeduld nagte an Sananka. Geheimnistuerisch war er schon immer gewesen und sie hatte es schon immer gehasst.
Jetzt gab Kep das Spielchen auf und wandte sich zu ihr um, sein Gesicht und seine Stimme waren ernst. „Die Menschen verändern sich. Die Elehii behaupten, es sei eine Krankheit, aber wir glauben das nicht.“
„Wir?“
„Ich bin nicht alleine der Ansicht“, wich er aus. „Lass mich dir zeigen, was ich meine und komm morgen Mittag in den Bronzenen Kessel. Dann erklärt sich alles von selbst.“
Sananka verzog den Mund und schüttelte wieder den Kopf. „Kep, ich habe nicht vor, mir wieder Ärger einzuhandeln. Ich will einfach nur friedlich meine Arbeit machen und mich aus allem raushalten.“ Energisch hob sie die Hand und wiegelte jeglichen Gedanken daran, hinzugehen, mit einer Handbewegung ab. „Also, vergiss, was immer du da auch im Sinn haben magst.“
Doch anstatt dagegen zu reden, wie Sananka es erwartet hatte, schwieg Kep einige Zeit. Als hätte er lange überlegt, äußerte er schließlich nur förmliches: „Bitte.“
„Kep!“
Abwehrend hob er die Hände und schnitt ihr jedes weitere Wort ab. „Dabei geht es nicht um Geld, Artefakte, Ehre oder sowas. Ich möchte dir nur jemanden vorstellen. Niemand wird erwarten, dass du hilfst, wenn du es nicht selbst möchtest. Es bleibt deine Entscheidung.“
Jetzt war es Sananka, die lange schwieg und ihn aufmerksam beobachtete. Es schien ihm wirklich am Herzen zu liegen, so ernst war es ihm selten gewesen. Was immer es war, er betrachtete es nicht als Spiel, wie er immer seine Aufträge gesehen hatte. Was also würde es ändern, wenn sie morgen Mittag einmal in einem altbekannten Lokal aß? Bei irgendwelchen Betrügereien oder anderen Missetaten würde sie nicht mitmachen. Sie würde sich auch nicht mit ihren früheren Taten erpressen lassen, da nahm sie lieber die Strafe auf sich. Zudem: Kep hatte sie niemals verraten und sie glaubte nicht, dass sich er sich in dem Punkt geändert hatte.
„Na schön“, seufzte sie schließlich, „ich werde kommen. Aber wenn du mich an der Nase herumführen willst, wirst du es bereuen.“
Kep lächelte und verneigte sich mit einem Anklang von Spott. „Das genügt mir schon. Dann sehe ich dich morgen.“
Als er verschwand, grübelte Sananka noch lange, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Ein Kommentar zu „Sananka: Eindringling“