Nichts endet (Alena)

Umrahmt von Licht trat er durch das Tor und verschwand aus seiner Welt. Der Durchgang in die zeitlose Leere schloss sich hinter ihm; gleißend und tosend. Doch Alena hatte nicht die Kraft sich sich die Ohren zuzuhalten oder ihre Augen vor der durchdringenden Helligkeit zu schützen. Die vor wenigen Momenten noch schmerzhafte Wunde in ihrer Seite war nur noch ein fernes Pochen und ihre Glieder fühlten sich taub an.
„Du hast ihn in sein verderben geschickt“, zischte eine Stimme aus dem Nichts. Vor wenige Minuten noch hatte diese Stimme zu dem Wesen gehört, das unweit von ihr tot am Boden lag. Dickes, dunkles Blut sickerte aus dem Halsstumpf auf den Teppich und ein Tiefer Schnitt hatte sich in den Rücken des Wesens gegraben. Das Schwert hatte Haut, Muskeln und Knochen gespalten, helle Splitter ragten aus dem Rücken des Wesens und faulig-schwarze Fleischfetzen umflossen sie wie zum Kontrast; das groteske Meisterwerk eines Künstlers. Alena wusste nicht, weswegen sie glaubte all das Wahrzunehmen. Vielleicht spielte ihr das Flimmern vor ihren Augen und das Rauschen in ihren Ohren einen Streich. Sie wusste, der Körper des Wesens war tot, ihn konnte es nicht mehr benutzen. Alles, was von dem Wesen geblieben war, war seine Stimme, die in der Turmkammer widerhallte: „Er wird nie mit ihr zusammen sein! Alles, was er finden wird ist seinen endgültigen Tod.“
Alenas Blick wanderte von den Überresten des Wesens zu dem einzigen Fenster. Ein Sturm zog auf. Graue Wolken ballten sich zusammen und während sich das Tosen in ihren Ohren beruhigte, wurde das Pfeifen des Windes lauter. „Er hat seine letzten Augenblick mit der Frau, wegen der all dies hier begonnen hat“, entgegnete sie leise. „Und damit endet es, damit endet deine grausame Welt.“ Mühsam stand Alena auf, doch es gelang ihr kaum, sich auf den Beinen zu halten. Ein leeres Regal bot ihr eine Stütze, als sie sich Schritt um Schritt zu dem Alkoven zwang. Sie wollte aus dem Fenster sehen, wollte wissen, ob der Nebel verschwunden war, ob das Land endlich frei war von all dem Grauen und Irrsinn.
„Du bist nicht besser als er“, wisperte die Stimme um sie herum. „Du hast ihn belogen, du hast ihm Hoffnung gemacht, wo keine war.“
„Ich gab ihm nur die Hoffnung zurück, die er schon lange verloren hatte.“ Alena hielt inne. Sie fürchtete, ihre Beine ließen sie im Stich. Mühevoll hielt sie sich am Regal aufrecht, krallte ihre Finger in das Holz, um nicht in die Knie zu gehen.
Die Stimme wurde höhnisch. „Du hast sein Vertrauen missbraucht und ihn vernichtet! Du bist genauso verdorben, wie er.“
„Er war kein schlechter Mensch“, entgegnete Alena müde. Sie war sich ihrer Taten bewusst, aber sie hatte keinen anderen Weg gesehen. Sie gab sich nicht der Illusion hin sie rechtfertigen zu können, um ihr Gewissen zu erleichtern. Dennoch sprach sie weiter. Die Stimme war das einzige, was ihre Gedanken davon abhielt in die lockende Tiefe zu stürzen und sich der wohltuenden Schwärze des Schlafes hinzugeben – sie wusste, sie war dem Tode nahe. Ihr Kleid war von Blut durchtränkt und sie spürte nicht mehr, wie es stetig aus ihrem Körper sickerte. Sie spürte nichteinmal mehr die Kälte in ihren Armen und Beinen; sie hatte sich schon lange ausgebreitet und ihr Innerstes überschwemmt. Aber sie wollte nicht aufgeben, sie musste sich vergewissern, ob sie ihr Ziel erreicht hatte. Entschlossen setzte sie einen weiteren Schritt vorwärts. „Aber auch gute Menschen können von Wesen wie dir ausgenutzt werden.“
„Ich habe ihn nicht ausgenutzt, es war seine Entscheidung.“
„Es war deine Verblendung, die ihm weismachte, er könne sie für sich gewinnen.“
Die Stimme lachte, tief und kehlig. „Auch du konntest ihm nicht die Augen öffnen.“
Alena ließ sich auf die Bank im Alkoven sinken, ihr Blut hinterließ dunkle Flecken auf dem blauen Samt. „Nein, er liebte sie zu sehr“, entgegnete sie und betrachtete den Wald. Der Sturm peitschte die Äste, Riss Blätter und Zweige ab, doch der Nebel tief unter ihr blieb unbewegt. Der Nebel hielt stand, die Grenze dieses Landes blieben.
Wieder hörte sie das dunkle Lachen und die Stimme war plötzlich in ihrem Kopf. „Es ist noch nicht vorbei. Du wirst seinen Platz einnehmen.“
„Nein“, flüsterte sie und schloss die Augen. „Ich werde keine Ewigkeit hier verbringen. Silva wird kommen.“ Tief in ihrem Herzen spürte sie ihn, den Gedanken, der die innere Kälte verdrängte. Ihre Rechnung war nicht aufgegangen und doch: ihr Vertrauen konnte ihr nichteinmal dieses ruchlose, übermächtige Wesen nehmen. Silva würde einen Weg finden, sie zu retten.

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