„Covey!“
Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. Im Halbdunkel des Korridors stand eine hochgewachsene Frau. Ein dunkler Mantel umhüllte ihre Gestalt und eine Kapuze ihr Gesicht, doch er erkannte ihre Stimme – und lächelte. „Alena! Bei allen Weisen, seid Ihr es wirklich?“
Sie trat vor, in den Lichtkegel einer Lampe, und strich sich elegant die Kapuze von den roten Haaren. Die letzten Jahre waren spurlos an ihr vorbeigegangen, doch er hatte sie schon immer für eine zeitlose Schönheit gehalten. „Ja, ich bin es“, bestätigte sie und lächelte freundlich.
Covey eilte auf sie zu, die Arme ausgestreckt, und doch blieb er zwei Schritte vor ihr stehen. Er freute sich, sie zu sehen, wahrte jedoch die gewohnte Distanz. Niemals hatte er eine bessere Freundin besessen und doch blieb der Umgang mit ihr reserviert, geprägt durch die einstige Angst ihr zu schaden. „Es ist wunderbar, Euch zu sehen. Wie geht es Euch? Was habt ihr in den letzten Jahren getrieben?“
Sie lächelte, warm und freundlich. „Hmm, einiges. Unwichtiges und Weltbewegendes.“ Schon erstarb ihr Lächeln und sie wurde mit einem Mal ernst. So ernst, wie er sie nur in seinen schlechten Zeiten gesehen hatte. „Aber weit weniger weltbewegend, als das, was Ihr vor habt.“
„Was meint Ihr damit?“
Als müsse sie erst die richtgien Worte finden, ging sie einige Schritte um ihn herum und betrachtete die Gemälde an der Wand; all jene Gesichter, die bereits im Ratsgebäude gewirkt hatten, die Gutes, als auch Schlechtes getan hatten – doch alles zum eigenen Wohl. „Covey“, begann sie bedächtig und wandte sich ihm wieder zu. „Ihr dürft das nicht tun. Ich bitte Euch inständig darum, als Eure Freundin. Ihr werdet scheitern.“
„Ich werde scheitern?“ Covey runzelte die Stirn und verengte die Augen. Er verstand, worauf sie hinaus wollte; Alena war schon immer sehr scharfsinnig gewesen und hatte Dinge durchschaut, die sonst niemandem auffielen. Jedoch hatte er sie lange nicht gesehen. Wie sollte sie also von seinem Vorhaben wissen? Dennoch war ihm klar, leugnen wäre unsinnig. „Wer hat Euch davon erzählt?“
Alena schüttelte den Kopf. „Niemand. Ich habe es gesehen, Covey. Ich weiß, wie es enden wird. Lord Henrey wird sterben und Ihr werdet verurteilt.“
„Was?“ Covey war sich sicher, das konnte sie nicht ernst meinen, und lächelte zynisch. „Wir wollen ihn nicht umbringen. Wir haben genug gegen ihn in der Hand, um ihn gefügig zu machen, Alena. Es ist nicht die ehrenhafteste Methode, das weiß ich, doch es wird die effektivste sein.“
„Das ist nicht das Problem.“ Eindringlich ging sie einen Schritt auf ihn zu und hob beschwörend die Hände. „Bitte glaube mir, Covey. Euer Plan wird schief gehen. Schlimmer noch, Ihr werdet zu Eurem Pakt zurückkehren.“
Covey ballte die Hände zu Fäusten. Die Freude über das Wiedersehen war entschwunden und hatte stattdessen einer unangenehmen Wut Platz gemacht. Unangenehm, denn er wollte nicht wütend sein; nicht auf sie. „Alena! Das wird nicht wieder passieren! Es gibt keinen Pakt mehr!“
„Oh doch. Sie hat noch immer die Hand nach Euch ausgestreckt, Covey.“ Traurige Worte, passend zu ihrer bekümmerten Mine, doch er war sich nicht sicher, was sie betrübte. Dass ihre Worte keine Wirkung zeigten? Dass sie glaubte, er sei nicht stark genug? Was immer der Grund war, er hatte zu lange daran gearbeitet, um jetzt aufzugeben. „Das wird nicht passieren!“, sagte er mit fester Stimme und hob abweisend eine Hand. „Wenn Ihr nur gekommen seid, um mich aufzuhalten, war der Aufwand umsonst. Guten Tag, Alena.“ Ohne ein weiteres Wort, wandte er sich ab.
„Covey, noch einmal wird Euch niemand retten können.“
Covey zögerte, hielt einen Augenblick inne. Niemand würde ihn mehr retten müssen, er würde nicht noch einmal darauf hereinfallen. Entschlossen ging er weiter, der Treppe entgegen und dem Ort, an dem er helfen würde, Lord Henrey zu entführen.
