Gespräch mit Thrax (1)

Es roch feucht und muffig hier unten, nach Staub, Erde und kühler Luft. Ich hielt vor der Tür inne und wollte sie schon ohne Vorwarnung öffnen, entschloss mich jedoch lieber zuvor zu klopfen. Ich wollte nicht respektlos gegenüber meinen Figuren sein. Besonders nicht jemandem wie ihm.
Als ich die Tür öffnete, blickte er mir entgegen. Er saß auf einem bequemen Sessel, ein Buch auf dem Schoß und runzelte die Stirn, als er mich erkannte. „Guten Abend“, grüßte er höflich.
Ich spürte, wie meine Wangen glühten. Thrax hatte ich noch nie besucht. Ich hatte es auch noch nie in Erwägung gezogen, die Idee war spontan entstanden; ein flüchtiger Gedanke, den nicht mehr als die Faszination dessen zur Ausführung gebracht hatte. Und hier stand ich nun, einem Mann gegenüber, groß, dunkel, aristokratisch, den ich mir ausgedacht hatte und der mir dennoch so fern schien, dass ich nicht sicher war, ob er wirklich meine Erfindung war.
Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. Er erhob sich und legte das Buch beiseite. „Solltest du mir um den Hals fallen wollen, rate ich dir dringend davon ab. Es bekäme dir nicht gut“, sagte er mit einem seltsamen Gleichmut in der Stimme.
Er ist Engländer, steif und förmlich, schoss es mir durch den Kopf. Oder zumindest wäre er Engländer, wenn es ein England auf meiner Welt gäbe… Ich musste mittlerweile puterrot im Gesicht sein.
„Was verschafft mir die Ehre?“, hakte Thrax nach und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich räusperte mich, um wieder etwas klarer zu denken. Von meinen eigenen Figuren derart fasziniert zu sein, dass mir das Reden peinlich war, war albern. „Ich dachte nur, ich könnte dich auch mal besuchen.“
Er musterte mich und ein kühles Lächeln erschien auf seinen Lippen. Plötzlich wusste ich, weswegen Mika dieses als unangenehm empfand, es war so hintergründig. „Du findest mich derart faszinierend“, stellte er fest, so gleichmütig, dass mir verborgen blieb, was er darüber dachte.
„Äh .. naja“, stammelte ich peinlich berührt. „In gewisser Weise schon. Denk daran, außer mir scheint dich niemand zu mögen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber deswegen bin ich eigentlich nicht hier.“
Noch während ich sprach, nahm er das Buch wieder zur Hand und ging zu einem der Regale. „Sondern?“ Das Buch verschwand zwischen einigen anderen und sein Blick blieb auf diese geheftet.
Ich begann an meinem Ring zu drehen. Sein Verhalten machte mich nervös. Es war ihm egal, was ich wollte. Er musste meine Anwesenheit hinnehmen, ob es ihm passte oder nicht und ich ging eher von letzterem aus. Dennoch: Unerwünscht zu sein ist kein schönes Gefühl. „Eigentlich dachte ich …“ Ich brach ab und atmete kurz durch. Die Luft hier unten war stickig. Er konnte froh sein, dass er keine benötigte. „Ich habe mich gefragt, ob du deine Entscheidung einen Pakt einzugehen jemals bereut hast.“
Thrax hielt inne, die Bücher zu begutachten und warf mit einen Seitenblick zu.
„Also, bevor du Alara getroffen hast“, fügte ich erklärend hinzu.
Er lächelte wieder, amüsiert, aber nicht freundlich und zog zielstrebig eines der Bücher heraus. „Du möchtest wisse, ob ich ein Gewissen habe.“ Wieder eine Feststellung. Bedauernd schüttelte er den Kopf, wandte sich mir gänzlich zu und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Das Buch behielt er dabei in den Fingern. „Meine Liebe, bist du etwa in der Lage jemanden ohne Gewissen zu erfinden?“
Das war eine gute Frage. „Ich weiß nicht“, entgegnete ich verwirrt. „Ich hoffe nicht.“
„Dann solltest du dir diese Frage selbst beantworten können. Ich wäre dir sehr verbunden, würdest du mich nicht weiter damit belästigen.“ Er neigte höflich den Kopf und begab sich wieder zu seinem Sessel.
Während er das Buch aufschlug stand ich da, wie ein begossener Pudel. Sein Verhalten war kühl und ablehnend. Er hatte keine Motivation mit mir zu sprechen. Aber das war nicht seine Entscheidung. „Ich möchte dich aber damit belästigen“, sagte ich und erkannte erst hinterher den Trotz in den Worten.
Ich hatte ein Seufzen erwartet, stattdessen sah er wieder aus und betrachtete mich eine Weile. Welche Gedanken ihm durch den Kopf gingen, konnte ich in diesem Moment erraten. Mikas Verhalten, der Trotz, die Neugierde, die Beharrlichkeit jener Frau, die er liebte, spiegelte sich in dem meinen wider. Er lächelte unverhofft, als hätte ihn allein diese Erkenntnis erweicht. „Es gab Dinge, die ich nicht gerne tat. Doch ich habe nicht viel getan, das unmittelbaren Schaden verursachte. Meine Untergebenen habe ich stets respektabel behandelt und mein ganzes Streben darauf ausgereichtet, Azno Dyes Plan zu verwirklichen und meine Schuld zu begleichen.“
Seine plötzliche Offenheit verwirrte mich. „Und …“, begann ich. „Hast du dir keine Gedanken darüber gemacht, was geschehen würde, wenn Azno Dyes erst hier auf Quyrillia erscheint? Ich meine, dir muss doch klar gewesen sein, dass ein Dämonengott nichts Gutes im Sinn haben kann.“
„Meine Begünstigungen wäre erhalten geblieben“, gab er zu bedenken und zuckte mit den Schultern. „Die Menschen waren mir gleich, niemand hatte echtes Interesse an mir, es ging immer um Macht, niemand stand mir nahe.“ Er legte eine Pause ein und verlieh seinen nächsten Worten damit mehr Bedeutung: „Bis Alaralien erschien.“
„Hmm, ja …“ Das war natürlich ein Grund. Allerdings gab es da noch jemandem, nachdem ich mich erkundigen musste. „Und Wyren? Stand er dir nicht nahe?“
Thrax lächeln kühlte. „Niemand, der all deinen Befehlen gehorcht, kann dein Freund sein. Wyren war immer ein Konkurrent. Zuerst in der Gunst meiner Eltern, danach selbst in meinen Diensten. Er war mir gegenüber zu loyal.“
Ich runzelte die Stirn. Das entsprach nicht ganz dem, was ich im Sinn gehabt hatte. „Aber du musst ihn gemocht haben, irgendwie zumindest. Sonst hättest du ihn fortschicken können, bei dem kleinsten Fehler.“
„Wyren machte keine Fehler. Es gab nur einen einzigen Fehler, den er begangen hat.“ Er sah mich nachdenklich an. Welchen Fehler er meinte, wusste ich und er gedachte es so stehen zu lassen und nahm den Faden wieder auf. „Nein, Wyren war mehr etwas wie ein ungewollter Bruder, jemanden, den ich nicht haben wollte, auf den ich jedoch auch nicht verzichten konnte. Ich wusste seine Fähigkeiten zu schätzen.“
Ich nickte verstehend. „Also gab es niemandem, wegen dem du ein schlechtes Gewissen hättest haben können.“
Auch er nickte und ich musste lächeln. Eine derartige Kooperationsbereitschaft hatte ich von ihm nicht erwartet. Ich hatte erfahren, was ich hatte wissen wollen. „Ich denke, damit kann ich etwas anfangen.“ Ich wandte mich um und ging der Tür entgegen, hielt aber noch einmal inne.
Thrax hatte sich bereits wieder dem Buch zugewandt, blickte jedoch noch einmal auf, als ich noch einmal das Wort ergriff: „Und du hast ein Gewissen. Du hast den Pakt hinterher bereut, nachdem Alara tot war. Sonst hättest du Azno Dyes nicht aufgehalten.“
Ich erhaschte das Aufkeimen eines Lächelns, als ich den unterirdischen Raum ganz verließ.

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