Suche (Liliana)

Im Schein der einzelnen Kerze betrachtete Liliana die verschiedenen Bücher. Das Regal war überfüllt, sie lagen quer, gestapelt und manche sogar noch daneben. Aber sie hatte kaum die Zeit, alle Bücher durchzugehen. Niemand wusste, dass sie hier war.
Sie warf einen versichernden Blick zur Tür und zum Boden hinab; aus Gewohnheit, doch ihren Hund Mae hatte sie nicht mitnehmen können. Nicht in der Heimlichkeit, mit der sie hier eingedrungen war. Das gewohnte Geräusch der Pfoten neben sich, Maes sonst allgegenwärtiges Atmen und Schnuppern, ihr unwilliges Brummen, wen ihr etwas nicht passte. All das fehlte Liliana bereits nach nicht einmal einer Stunde.
Entschlossen wandte sie sich dem Bücherregal zu und nahm die Schriften in Augenschein. Steinfeldens Theorien zum Dimensionsriss, Graustars Thesen, Aufzeichnungen aus Mynoc; die Titel sagte ihr nicht das Geringste. Worum ging es in den Werken bloß? Vielleicht hätte sie Ilay fragen sollen, aber wie sollte sie sich unauffällig nach einer bestimmten Art von Fluch erkundigen, ohne dass er Verdacht schöpfte?
Liliana nahm ein Buch mit der Aufschrift Fabelwesen aus Schauermärchen und der Umgang mit ihnen, stellte die Kerze auf einem mit Notizen überfülltem Tisch und blätterte darin. Bilder von Dämonen und Untoten füllten die Seiten neben kurzen Beschreibungen. Sie seufzte und stellte das Buch an seinen Platz zurück. Entschlossen nahm sie einen Stapel Bücher heraus, stellte den Stapel auf den Boden und setzte sich im Schneidersitz davor.
Ein Buch nach dem anderen blätterte sie durch, in der Hoffnung der Zufall käme ihr zur Hilfe. Doch dem war nicht so. Unbehagen und Frustration machten sich in ihr breit, als sie das vorletzte Buch unwirsch beiseitelegte. Sie stand wieder auf und wanderte unruhig im Raum auf und ab. So kam sie niemals zur einer Lösung! Insbesondere nicht, wenn sie ärgerlich wurde. Sie spürte, wie mit jedem Funken an Wut das Biest weiter hinaus drang. Es lauerte nur darauf, dass sie erfolglos blieb. Misserfolg schürte den Ärger.
Anstatt gegen den Tisch zu treten stützte sie sich mit beiden Händen darauf, schloss die Augen und atmete tief durch. Jetzt fehlte ihr die beruhigende Nähe ihres Hundes, die Möglichkeit Mae durch das krause schwarze Fell zu fahren und ein freudiges Schwanzwedeln zu ernten.
Erst als die Glut durch den Gedanken an ihren Hund erstickt war öffnete sie die Augen wieder und blinzelte. Analyse, Anwendung und Thesen zu Verfluchungen las sie direkt vor sich, halb verborgen unter den Notizen. Lilianas Herz tat einen Luftsprung. Es war eine Mappe, zugebunden mit einem Lederband und gefüllt mit losen Blättern. Ohne weitere Überlegungen nahm sie die Mappe an sich und verließ den Raum. Der Stapel Bücher lag noch auf dem Boden, beleuchtet von einer einsamen Kerze.

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