Vyncent öffnete die Tür und deutete in einer ausschweifenden Geste auf den Raum dahinter. „Das ist unser Reich“ Ein Reich in einem üblen Zustand. Er hatte völlig vergessen, wie es hier aussehen konnte: Auf der hölzernen Theke, die einen Teil des Raumes abtrennte, lagen Stapel von Metallstücken, Holz und diverse Werkzeuge, überall standen Tische mit ähnlichen Utensilien, auf dem Boden sammelten sich Überreste von Sägemehl und Krümel anderer Materialien und durch das ganzen Zimmer spannten sich dünne Seile.
„In Ordnung …“, verkündete Vyncent peinlich berührt, wandte sich zu seiner Begleiterin und lächelte schräg. „Zumindest die Seile waren heute Morgen noch nicht da.“
Doch Liliana schien sich nichts daraus zu machen. Sie hob sie Schultern, zwinkerte und trat ein, dicht gefolgt von ihrem Hund. Zu Vyncents Leidwesen begann das kniehohe Tier sofort den Raum schnuppernder Weise zu erkunden.
„Na schön.“ Eilig folgte Vyncent, duckte sich unter einem Seil hindurch und sah sich nach demjenigen um, der für das Chaos verantwortlich war. Aber sein Partner war nirgends zu sehen. „Ilay, komm raus, ich will dir jemanden vorstellen. Ilay!“ Ein Poltern von oben war zu vernehmen, ein unterdrücktes „Au!“ und ärgerliches Gemurmel; er würde also gleich kommen.
Vyncent wandte sich wieder Liliana zu und schnappte erschrocken nach Luft. Sie hatte eine kupferne Kugel von einem der Tische genommen, betrachtete diese und fuhr mit den Fingern eine kaum sichtbare Kerbe im Metall nach. “Oh!“ Mit einem Satz war Vyncent neben ihr und nahm ihr die Kugel bestimmt aus der Hand. „Das ist eines von Ilays Experimenten.“ Vorsichtig legte er sie wieder ab, stützt sich in dem Ansinnen unbefangen zu wirken mit einer Hand die Tischplatte und fuhr sich fahrig durch die kurzen Haare. „Also, jetzt weißt du, wo wir wohnen. Altes Gasthaus, nichts Besonderes, aber viel Platz.“
Das erste Mal, seit sie eingetreten war, wandte sie ihm ihr Gesicht zu. Ein Gesicht, das VYncent jedes Mal wieder ins Stocken brachte: Ihre rundlichen Gesichtszüge wurden von schräg stehenden Augen dominiert, das eine in einem wunderbaren warmen Braun, das andere im Kontrast dazu eisblau. Ihre gerade Nase und ihre vollen Lippen hatten es Vyncent nach genauer Betrachtung jedoch genauso angetan. Da störte es ihn auch nicht, ihre raue Stimme, fast disharmonisch, ganz anders, als man es von einer Halbelfe erwartete.
„Das sagtest du schon“, sagte sie knapp und sah ihm offen entgegen. „Von hier aus jagt ihr … Monster?“
„Ja“, bestätigte Vyncent gelassen. „Damit verdienen wir unser Geld. Das ist unser Stützpunkt, aber natürlich reisen wir viel, schließlich tauchen Monster auch außerhalb der Stadt auf. Was nicht heißen soll, in der Stadt wimmele es von Monster … „ Bevor er sich noch weiter um Kopf und Kragen reden konnte, brach er ab und fügte mit einer lapidaren Geste an: „Du weißt schon, was ich meine.“
Liliana ging derweil am Tisch vorbei, ließ ihre Finger über das Holz gleiten und begutachtete sich die seltsamen Werkzeuge und Gegenstände; hier ein seltsam geformtes Messer, dort ein Netz aus Metallstriemen. Das musste ihr alles höchst seltsam vorkommen. Als Schaustellerin hatte sie gewiss nicht viel mit sogenannten Monstern zu tun.
Eine kalte Schnauze stupste an sein Bein und Vyncent blickte hinunter. Lilianas Hund sah ihn aufmerksam mit dunklen Mandelaugen an, brav sitzend und mit angehobenen Schlappohren. Das Fell des Tieres war genauso schwarz, wie auch Lilianas Haare, von einer weißen Pfote einmal abgesehen. Drahtig und schlank, war es wohl das perfekte Tier für eine Schaustellerin. Ein gewöhnlicher Straßenköter, ein Mischling oder wie auch immer man ihn nennen mochte.
Es Klackte. Vyncent fuhr herum. Liliana hatte erneut die Kupferkugel zur Hand genommen und die beiden Hälften an der Kerbe in entgegen gesetzte Richtungen gedreht. Sie surrte verdächtig. Abermals hastete Vyncent zu ihr, gefolgt von ihrem Hund, und unterdrückte ein Fluchen. „Nein! Das ist … „
Noch einmal knackte es, das Surren verstummte. Sonst geschah nichts. Liliana hielt noch immer die geschlossene Kugel in der Hand und runzelte die Stirn. „Kaputt.“, vervollständigte sie seinen Satz.
„Gefährlich, wollte ich wollte sagen.“ Ärgerlich nahm er ihr die Kugel aus der Hand und legte sie beiseite.
„Und was soll das darstellen?“ Abermals griff sie nach der Kugel und Vyncent unterdrückte den Impuls, sie ihr abermals zu entreißen. Noch einmal aktivieren würde sie sie schon nicht, sie war immerhin eine kluge Frau. Sie setzte sich mitsamt der Kugel auf eine Tischkannte, wiegte sie hin und her und pfiff eine kurze Tonfolge, als der Hund sich unter den Tisch legte.
„Das ist … eine Waffe.“ Wieder machte er eine vage Handbewegung zu den Worten. Wie sollte er dass denn näher ausführen? „Ilay bastelt gerne, leider ist er nicht gut darin, seine Erfindungen so zu bauen, dass sie öfter als einmal funktionieren. Sie überstehen also keine Testphase. Möchtest du etwas trinken?“
„Wein bitte.“ Der Hund gähnte ausgiebig und legte den Kopf auf die Pfoten.
Vyncent wandte sich der Theke zu. Diese wurde zwar nicht als solche Benutzt, aber in den zahlreichen Fächern fand sich auch Platz für Becher und Flaschen. „Manchmal schafft Ilay es, etwas zu basteln, das zwei oder drei mal funktioniert und im entscheidenden Moment seinen Geist aufgibt“, erzählte er weiter, während zwei Becher und eine Flasche Wein den Weg auf den Tresen fanden.
„Wenn du gegen Monster kämpfst?“
Mit reiner Kraftanstrengung versuchte Vyncent den Korken herauszuziehen um demonstrativ seine Fähigkeiten passend zum Gespräch zur Schau zu stellen. „Ja, genau … dann …“ Doch der Korken saß fest. Das amüsierte Blitzen in Lilianas Augen konnte er sich regelrecht vorstellen, als er abermals unter der Theke verschwand um einen Korkenziehen zu suchen. „Manchmal funktionieren sie zwar, aber nicht so, wie gedacht und das kann auch eine unangenehme Überraschung …“ Es Klickte wieder. „sein …“
Vyncent stieß sich den Kopf, als er abrupt wieder unter der Theke auftauchte. Liliana stand jetzt vor dem Tisch, hatte die Kugel darauf gelegt betrachtete sie neugierig. „Was machst du da?! Ich habe doch gesagt, sie ist …“
In dem Moment sprang die Kugel auf. Das Surren wurde vielstimmig, als viele kleine Wurfsterne nach oben geschleudert wurden und über Lilianas Kopf in alle Richtungen flogen.
So schnell wie möglich tauchte Vyncent wieder unter die Theke. Die Geschosse schlugen in das Holz des Tresens, die Wände und Tische. Glas und Metall klirrte, als sie andere Erfindungen zerschmettertem und die Weinflasche von ihrem Hals trennten. Ein plötzlicher Hagelschauer, der nach wenigen Sekunden vorbei war. Vyncent lugte über die Theke. Liliana stand noch immer dort, verwirrt, aber unversehrt und auch der Hund hatte unter dem Tisch einen sicheren Platz gehabt. Dafür waren Möbel und Wände mit Wurfsternen gespickt, auf dem Boden lagen noch mehr Scherben und Splitter und einige der Seile waren zerteilt worden. Eines musste ein Wasserbehältnis gehalten haben, der Boden triefte plötzlich vor Nässe.
Gegen die Wand gedrückt winselte der Hund leise und Liliana hockte sich nieder, um ihm etwas zuzuflüstern und ihn zu beruhigen. Erst dann wandte sie sich zu Vyncent um und hob unschuldig sowohl Hände als auch Schultern an. „Ich habe es repariert.“
Jetzt lag auf ihren Lippen ein schiefes Lächeln.
