Leichenfledderer

„Was hat sie sich nur dabei nur gedacht?!“ Enjakue verzog die Lippen und hielt sich demonstrativ die Nase zu. Angeekelt betrachtete sie das schlurfende und klappernde Gerippe. Die faulige Haut hing in Fetzen von den Knochen, das Fleisch war braun von Schimmel und Maden fielen aus einem klaffenden Loch im Bauchraum auf den Boden. „Dieses … Ding! ist eklig. Es stinkt!“
Imiak seufzte resignierend, ganz, als fände er einen verrotten und torkelnden Toten im Keller halb so schlimm. Ruppig versetzte sie ihm einen Stoß. „Schaff ihn weg!“
„Schon gut!“, zischte Imiak zurück und bleckte die Zähne. In seinen tiefblauen Augen funkelte es gefährlich, seine Wut ließ er jedoch an dem Leichnahm aus. Er griff nach dessen Arm, es knackte, Reste der Haut rieselten wie feuchte Blätter zu Boden und Imiak hielt den knöchernen Arm in der Hand.
„Wie hat sie es nur geschafft, dieses Ding auszugraben?!“, zeterte Enjakue, während Imiak wütend nach dem Kopf des Leichnams schlug. Dumpf schlug dieser auf dem Boden auf und kullerte gegen die Wand. Imiak zertrümmerte den Rest des Körpers und zerriss ihn in immer kleinere Stücke.
Enjakie verschränkte die Arme und zog einen Schmollmund. „Sie hat sich dabei sicherlich das Kleid ruiniert! Wo ist sie eigentlich? Deila? Deila!“ Abrupt wandte sie sich ab und ging die Treppe hinauf, zum Zimmer der jungen Vampirin. Deila saß auf ihrem Bett und flocht einer Puppe andächtig bunte Bänder in die Haare. Als Enjakue eintrat schaute sie nichteinmal auf, kicherte aber.
„Hast du mein Spielzeug gefunden?“, fragte sie leise. Der Blick, der Enjakue nun traf war seltsam zufrieden; verklärt und versonnen. „Ich hab’s für dich gemacht.“ Sogar Stolz glaubte sie in Deilas veilchenblauen Augen zu lesen.
Enjakue schlug die Tür hinter sich zu und Deila zuckte zusammen. Reuig blickte sie zu Boden; ein kleines Kind, das wusste, es hatte etwas falsch gemacht. Sie konnte noch so sehr im Körper einer jungen Frau stecken, sie war nicht mehr als ein unvernünftiges Mädchen, das nicht wusste, was es tun durfte und was nicht. Schlimmer noch: das sich in der irrealen Welt ihres eigenen verrückten Verstandes immer wieder über Verbote hinwegsetzte.
„Du weißt, ich kann solche Geschenke nicht leiden, Deila!“, fauchte Enjakue, wurde im Ton jedoch sofort sanfter. Etwas stimmte nicht. Das Zimmer war sauber, Deilas Kleid ebenso. „Süße …“ Ruhig ließ sie sich neben Deila auf den Bett nieder. „Wer hat dir dein Spielzeug hier her gebracht?“ Sie hob das Deilas Kinn an und sah ihr fest in die Augen. „Wer hat dir die Leiche ausgegraben?“
Deila blinzelte, dann lächelte sie versonnen. „Die Hunde.“
Stirnrunzelnd ließ Enjakue die Hand sinken. „Hunde?“
„Sie haben sie gebissen“, beteuerte Deila und strich über die Haare ihrer Puppe, als sie es das Fell eines der Tiere. „Ich habe sie verscheucht und das Spielzeug gerettet. Ich bat es mit mir zu kommen, und es kam.“
Enjakue stutzt. Deila musste in den Elendsvierteln auf der anderen Seite der Stadt gewesen sein. Allein dort konnte sie einem Haufen Straßenköter begegnet sein, die sich an einer menschlichen Leiche gütlich taten. „Du bist mit einem Leichnam durch die Stadt gelaufen?!“, fuhr sie Deila heftig an.
Wieder zuckte Deila zusammen und Enjakue erhob sich verärgert, stampfte mit dem Fuß auf und ballte die Hände zu Fäusten. „Deila, das darfst du nicht! Hast du mich verstanden?! Ich verbiete dir mit diesen Spielzeugen zu spielen!“
Deilas kindlicher Gesichtsausdruck wurde traurig, ihre Augen rötlich von den blutigen Tränen, die sogleich fallen würden. „Es gefällt dir nicht?“
Wieder stampfte Enjakue auf. Das Verbot interessierte Deila nicht einmal! Sie hatte keinen Sinn für Sicherheit, viel mehr grämte sie, dass Enjakue noch immer nichts für diese widerlichen Zombies übrig hatte. „Nein!“, brüllte sie. „Ich lege keinen Wert darauf, von einem Mob überfallen zu werden, nur weil du dich hier mit stinkenden Leichen umgibst!“ Drohend hob Enjakue den Zeigefinger und senkte die Stimme. „Ich werde dann meine eigene Haut retten und wenn Imiak nicht allzu dumm ist, wird auch er sich nicht um dich scheren! Er muss verrückt gewesen sein, dich zu einem von uns zu machen!“ Jäh öffnete sie die Tür und eilte hinaus. Deilas Tränen waren ihr gleich.

Hinterlasse einen Kommentar