Ehrgeiz (Alena)

Vorsichtig klopfte sie mit dem Zeigefinger gegen das Glas. In der trüben Flüssigkeit schwamm ein zusammengerolltes, glitschiges Etwas, doch Alena konnte nicht sagen, um was es sich handelte. Vielleicht eine Art Fisch? Es bewegte sich nicht, schien sie jedoch mit einem riesigen Glubschauge zu beobachten.
„Fräulein Wolpjes!“
Alena fuhr herum und sah die Magierin entschuldigend an. Ihr Eintreten war ihr entgangen.
„Sollte Euch das Mysterium des Libellenfrosches derart interessieren, dürft Ihr mir gerne in drei Tagen eine zehnseitige Abhandlung vorlegen.“
„Ich bitte um Entschuldigung, Merin Dergenkamm“, sagte Alena höflich und zupfte an ihrem farblosen Studentenmantel, um ihn zu glätten.
Merin Dergenkamm setzte sich gemächlich in ihren Sessel, klopfte die Kannten eines Papierstapels auf dem Schreibtisch glatt und legte ihn ordentlich beiseite. Forschend sah sie Alena an, musterte sie von oben bis unten; eindringlich und interessiert. Sie hatte stechende blaue Augen unter dunklen Augenbrauen, ihre Haare waren streng aufgesteckt und zogen die weißen Strähnen an den Schläfen fest zurück. „Ihr seid also Studiosa Alena Frenja Wolpjes“, stellte sie fest, machte eine auffordernde Geste und lehnte sich abwartend zurück. „Erzählt mir, warum interessiert Euch Beherrschungsmagie?“
Alena blinzelte, sammelte sich und trat beherzt einen Schritt nach vorne. „Merin Dergenkamm, wir hatten im letzten Studienjahr bereits erste Einblicke in Euer Fachgebiet und ich fand es äußert interessant, wie man aus Beobachtungen Rückschlüsse auf das Verhalten von Menschen ziehen kann. Die Definition der Beherrschungsmagie bezieht sich darauf, magische Einflüsse zu erkennen und ich … interessiere mich einfach dafür.“
Ihre Ausführungen hatte Alena gut überdacht, dennoch fehlte es ihr letztlich an Argumenten. Sie wollte es einfach. Sie wollte einfach dieses Fachgebiet.
Merin Dergenkamm runzelte die Stirn und Alena wusste, auch ihr war es nicht entgangen; der bittende und zugleich sture Tonfall in Alenas Stimme.
„Haltet Ihr es nicht für etwas verfrüht, Euch jetzt bereits ein Fachgebiet auszusuchen?“, erkundigte sich Merin Dergenkamm.
Alena wusste, worauf sie hinaus wollte. Darauf hatte sie sich vorbereitet: „Nein, Merin Derkenkamm“, entgegnete sie entschlossen. „Merin Sollve legte uns ans Herz, uns so früh wie möglich damit zu beschäftigen, in welche Richtung unsere späteren Forschungen gehen sollen. Er riet mir, mich zu erkunden und meine Entscheidung zu treffen, wenn ich ganz sicher bin. Nun, Merin Dergenkamm, ich bin mir sicher.“
„Das seid Ihr also“, wiederholte Merin Dergenkamm nachdenklich. Sie wussten beide, dass die Worte Merin Sollvels nur vorgeschoben waren. Alena hatte ihn fragen müssen, doch bei einem zerstreuten alten Mann konnte niemand einen wirklichen Rat erwarten. Letztlich war es allein ihre Entscheidung gewesen.
Herzschläge vergingen, in denen Alena eine unangenehme Musterung über sich ergehen lassen musste. Dann nickte Merin Dergenkamm anerkennend. „Vermutlich habt Ihr die erste Lektion bereits verstanden, Fräulein Wolpjes: Lasst Euch niemals eine Entscheidung abnehmen.“ Plötzlich erweichten sich ihre Züge und sie lächelte. „Nun gut, ich werde Euch einweisen. Aber bedenkt …“ Sie hob warnend einen Zeigefinger. „Aufgrund Eures Alters muss ich Euch eine Probezeit von sechs Monden auferlegen. In dieser Zeit könnt Ihr Eure und ich meine Entscheidung überdenken. Erst danach werdet Ihr auch einen entsprechenden Mantel erhalten. Ich sehe Euch morgen Nachmittag, nach Euren Lektionen am Marktbrunnen.“
„Am Marktbrunnen?“ Jetzt runzelte Alena die Stirn.
„Natürlich, Fräulein Wolpjes. Dort lernt Ihr meine anderen Schüler kennen und ich Eure bisherigen Fähigkeiten. Vermutlich wird auch Merin Firendes anwesend sein. Und nun geht, bevor Ihr Euer Mittagessen verpasst.“
Alena strahlte und ihr Herz schlug schneller. Sie hatte es geschafft! Sie hatte ihr Fachgebiet gewählt, als eine der jüngsten Studenten der Akademie. „Ja, Merin Dergenkamm!“, verabschiedete sie sich atemlos. „Bis morgen, Merin Dergenkamm!“

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