Gelangweilt saß Chyvee auf ihrem Thron, die Beine übereinander geschlagen, den rechten Ellenbogen auf die Lehne gestützt und das Kinn in die Hand. Die Finger der Linken trommelten unentwegt auf das Holz und verursachten das einzige Geräusch in dem kahlen Saal. Kein Licht war entzündet worden, niemand war anwesend. Wozu auch? Sie kamen schon lange nicht mehr, niemand hatte den Mut, der Herzogin entgegenzutreten, kein Bittsteller, kein Feind, niemand. Die Festung war leer, die Stadt selbst heruntergekommen, in Angst und Schrecken.
Und warum? Eine Revolution, ein einziger kleiner Knabe, dem sie hatte die Leviten lesen wollen und schon wusste die ganze Stadt, was sie war. Gefürchtet war sie zuvor bereits gewesen, gefürchtet als Frau, die ihren eigenen Regeln folgte und durchsetze, was immer sie durchsetzen wollte, vielleicht sogar respektiert als gerecht. Niemand der in ihrem Sinnen etwas unrecht tat, war ungestraft davon gekommen.
Ärgerlich schnaufte Chyvee und erhob sich. Ihr Weg führte aus dem Thronsaal hinaus, eine Treppe hinauf, bis sie die Türen zu einem runden Balkon aufstieß. Die Nacht war kalt, Schnee bedeckte die Dächer, ihren Rosengarten und auch den Balkon. Ihr Blick schweifte über die Stadt, die so still dort lag, als leben keine Menschenseele mehr dort. Sie hatte Ghoule erledigt, wildernde Werwölfe beseitigt und selbst ihresgleichen erbarmungslos in der Sonne verbrennen lassen, nur um dafür zu sorgen, dass Menschen in der Stadt unbehelligt leben konnte. Und wie hatte man es ihr gedankt? Mobs, Revolutionen, Putschversuche. Alle waren sie gescheitert, doch alle hatten sie dazu beigetragen die Stadt zu zerstören, die Menschen allein ihres Wesens wegen zu verängstigen. Die eigensinnige Herzogin war ein Vampir, eine Magierin und Kämpferin noch dazu, ein unbezwingbares Wesen, hatte es geheißen. Plötzlich fühlten sich nicht einmal mehr jene sicher, die Chyvee niemals behelligt hätte, die sie beschützt hatte, kleine Menschen, die nur ihr Leben leben wollten und nichts Unrechtes taten.
Jetzt herrschte Chyvee über verlassene Gebäude, leere Marktplätze, die nur noch von jenen bevölkert wurden, die zu schwach waren um fort zu gehen. Oder dem Abschaum. Und sie selbst? Sie musste bleiben, sie hatte keine Möglichkeit die Stadt zu verlassen. Seit Jahrhunderten war sie bereits an diese gebunden. Sie konnte nicht gehen, nur warten, auf bessere Zeiten oder bis selbst der Abschaum verschwand und sie elendig verhungerte.
Chyvee verzog ihre launischen Lippen zu einem freundlosen Lächeln. Selbst jetzt zog sie das nicht in Betracht. Hunger und Einsamkeit würde sie nicht vernichten können. In einem hatten die Geflüchteten recht: Sie blieb unbeugsam.
